Interview mit Prof. Daichendt zur deutschlandweiten ersten Professur für -Osteopathische und Manuelle Medizin-
(3-2015)
Prof. Daichendt
Von Christoph Newiger
Herr Professor Daichendt, Glückwunsch zu Ihrer neuen Professur! Sie sind Mitte April von der Steinbeis-Hochschule Berlin zum deutschlandweit ersten Professor für „Osteopathische und Manuelle Medizin“ ernannt worden.
Herzlichen Dank für Ihre Glückwünsche, Herr Newiger, ich freue mich Sie nunmehr persönlich kennenlernen zu dürfen. Auch möchte ich Ihnen für die Möglichkeit danken, mich in diesem Forum äußern zu dürfen.
Sehr gern. Herr Professor Daichendt, es gibt unterschiedliche Sichtweisen, was die Osteopathie bzw. Osteopathische Medizin angeht, Manualmediziner begreifen sie als Bestandteil und Erweiterung der Manuellen Medizin, Osteopathische Ärzte und nichtärztliche Osteopathen sehen in ihr ein eigenständiges Gesundheitskonzept. Wie ist Ihre Sichtweise dazu?
Die vor allem in Deutschland stetig geführte Diskussion darüber ob die Osteopathie nun ein eigenständiges Gesundheitskonzept ist oder Teil der Manuellen Medizin, ist mir zu ideologisch geprägt. In jedem Fall verhindert, meines Erachtens, die Betonung die Osteopathie sei ein eigenständiges Gesundheitskonzept, den wissenschaftlichen Diskurs. Da die Gedankenmodelle der Osteopathie in weiten Teilbereichen einer basiswissenschaftlichen Reflexion zumindest im Grundsatz Stand halten, die Diagnostik- und Therapiewege manuell und visuell sind, sind diese Anteile in der Manuellen Medizin angesiedelt. Andere Teile der osteopathischen Philosophie sind vor dem geschichtlichen Hintergrund der Zeit, in der sie entstanden, zu sehen. Alles in Allem ist Osteopathie / Osteopathische Medizin Komplementärmedizin und eine große Bereicherung der Heilkunde. Nicht jedes komplementärmedizinische Verfahren muss wissenschaftlich belegbar sein um eine Daseinsberechtigung zu haben. Da die Osteopathie aber in der Bevölkerung und Ärzteschaft eine breite Rezipienz genießt, sollte sie sich um ihrer selbst Willen dem wissenschaftlichen Diskurs stellen. Nur so wird sie breite Anerkennung in der universitären Lehre und angewandten Medizin erhalten können. Das Festhalten an alten Denkmustern und rigides Abgrenzverhalten, wie man es auch auf Verbandsseite – sowohl nichtärztlich als auch ärztlich - leider oft zu sehen bekommt, verhindert die Weiterentwicklung der Osteopathie.
Ihre neue Professur an der Steinbeis-Hochschule ist für vorerst drei Jahre als anwendungsbezogene Forschungsprofessur eingerichtet worden. Was unterscheidet eine anwendungsbezogene Forschungsprofessur von einer Lehrprofessur?
Der Umfang der Lehrverpflichtung. Eine Forschungsprofessur hat eben dieses Ziel zum Inhalt, Lehre und Prüfungen stellen nur eine der Aufgaben dar. Die „Anwendungsbezogenheit“ der Forschungsprofessur generiert einen höheren praktischen Bezug der Forschungsarbeit, Grundlagenforschung ist nicht das primäre Ziel. Vielmehr sollen beispielsweise multizentrische, randomisierte, plazebokontrollierte Anwendungsstudien mit osteopathisch medizinischer Fragestellung durchgeführt werden.
Die Steinbeis-Hochschule bietet über zwei ihrer zahlreichen Transferinstitute osteopathische Studiengänge an. Sind hier Kooperationen mit Ihrer Forschungsprofessur geplant oder hat diese mit den Studiengängen nichts zu tun?
Mir liegen noch keine Anfragen von Transferinstituten vor. Grundsätzlich bin ich natürlich für Forschungsgemeinschaften aufgeschlossen. Jedoch sollte beim Forschungspartner der wissenschaftliche Eigenanspruch vorhanden sein, das Forschungsprojekt über dem Niveau von Bachelor-Thesen anzusiedeln. Meine Wunschvorstellung ist die Generierung osteopathischer und manualmedizinischer Promotionsarbeiten. Diesbezüglich besteht Konsens, welcher auf Entscheiderebene nach unterschiedlichen Gesichtspunkten bewertet wird.
Die meisten privatrechtlichen Anbieter von Bachelor- und Masterstudiengängen der Osteopathie tun sich mit der Erfüllung der Bologna-Kriterien leider noch etwas schwer, die Durchführung der Bachelorarbeiten dient häufig nur als Selbstzweck, Masterthesen gibt es noch gar keine. Die Generierung von Forschung sollte vornehmlich unabhängig von Ausbildungen erfolgen.
Entstehen durch ihre Professur neue Studiengänge, etwa ein Master-Studiengang?
Vorerst nicht, jedoch wäre die Einrichtung eines berufsbegleitenden Masterstudiengangs für Ärzte in Osteopathie ein interessantes Projekt.
Der von einigen Gruppierungen geforderte „Facharzt für Osteopathie/OM“ wird nicht kommen und ist inhaltlich wie weiterbildungsrechtlich nicht sinnvoll. Leider reagieren einige Verbände auf die Akademisierungsbestrebungen des nichtärztlichen Lagers der Osteopathie reflexartig mit dem Ruf nach weiterer Standarderhöhung der ärztlichen Osteopathieausbildung, dabei nicht beachtend, dass sie damit die von ihnen selbst beschlossenen Standards (z. B. EROP Standard) in Frage stellen.
Viel wichtiger aber ist, dass in der Bewertung der ärztlichen osteopathischen Ausbildung nach EROP-Standard, beispielsweise durch die gesetzlichen Krankenkassen, falsch gerechnet wird. Diese fordern häufig die Vorlage einer 1.400 Std.-Ausbildung von Ärzten. Dabei wird vergessen, dass in den Ausbildungen der nichtärztlichen Ausbildungsinstitute mehrheitlich Grundlagenfächer wie Anatomie, Physiologie, klinische Fächer wie Pathologie, etc., unterrichtet werden, die in die Berechnung der Gesamtstundenanzahl selbstverständlich einfließen. Der Anteil osteopathischen Fachwissens und Hands-on Training ist häufig verschwindend gering. Die Dozentenstämme – auch in den neu eingerichteten Studiengängen verschiedener Anbieter - haben meist einen zu geringen Anteil akademisch qualifizierter Lehrkräfte. Wenn man diesen Berechnungsschlüssel richtigerweise auch für Osteopathische Ärzte anwendet, kommt man zu folgendem Ergebnis: 5000 Stunden allein für das Medizinstudium, zuzüglich 700 Stunden für die spezifische Ausbildung in Manueller und Osteopathischer Medizin. Voraussetzung zur Absolvierung des Curriculums ist eine Facharztanerkennung einer Ärztekammer und die Zusatzbezeichnung „Manuelle Medizin“. Somit kommt ein Osteopathischer Arzt in Deutschland – ohne Berechnung der Zeit für die Facharztanerkennung – auf mindestens 5.700 Stunden, bevor er sein ärztliches Osteopathiediplom in Händen hält. Diesem Standard haben sich alle Mitgliedsverbände der s EROP verpflichtet. Ein Facharzt für OM ist somit überflüssig und realitätsfern, ein berufsbegleitendes Masterstudium jedoch eine nicht unspannende Alternative zum EROP-Standard und wäre Bologna-Kriterien konform.
Wie darf man sich die Arbeit eines Forschungsprofessors für „Osteopathische und Manuelle Medizin“ vorstellen?
Derzeit stelle ich eine Arbeitsgruppe verschiedener Experten zusammen. Ziel ist die Entwicklung einer Leitlinie zur Behandlung der „Craniomandibulären Dysfunktionssyndrome“. Dies ist mein erstes Projekt und wird im interdisziplinären Diskurs entwickelt, indem vorhandene wissenschaftliche Literatur der Zahn- und Manuellen Medizin gesichtet wird, beispielsweise eine Metaanalyse erstellt wird. Anschließend wird die Leitlinie in einem „peer reviewed“ Journal veröffentlicht. Ferner liegen mehrere multizentrische randomisierte Studienexposées aus den Kreisen osteopathischer Ärzte vor, diese Studien werden demnächst gestartet. Natürlich ist die Einwerbung von Forschungsmitteln auch eine meiner wichtigen Aufgaben.
Sehen sie Möglichkeiten künftig auch in anderen Bereichen der Osteopathie Forschung mit der Steinbeis-Hochschule aufzubauen?
Selbstverständlich, dies ist mein ausdrücklicher Wunsch. Der Hochschulpräsident Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Johann Löhn ist sehr forschungsaffin, ebenso das aus hochrangigen Professoren bestehende Kollegium.
Sie haben laut einem Zeitungsbeitrag den Auftrag erhalten, eine wissenschaftliche Leitlinie zur Behandlung des Bruxismus (Zähneknirschen) zu erstellen. Darin soll die Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten und Osteopathen beschrieben werden. Wer erteilt einen solchen Auftrag und können Sie uns inhaltlich mehr zu dieser neuen Leitlinie erläutern?
Den Auftrag erteilen typischerweise wissenschaftliche Fachgesellschaften. Im konkreten Fall war es der Vorstand der „Deutsche Gesellschaft für Chirotherapie und Osteopathie e.V.“, dem ich auch vorsitze. Die DGCO sieht seit jeher eine wichtige Aufgabe in der wissenschaftlichen Förderung der Chirotherapie und Osteopathie. Als einzige mitgliederreiche Fachgesellschaft in Deutschland ist sie rein ärztlicher Provenienz und hat einen interdisziplinären Vorstand, bestehend aus ärztlichen Osteopathen und Manualmedizinern sowie Zahnmedizinern. Diese Zusammensetzung trägt dem Anspruch der DGCO Rechnung interdisziplinär mit der Zahnmedizin und Kieferorthopädie in der Osteopathie und Manuellen Medizin zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit mit zahnmedizinischen wissenschaftlichen Fachgesellschaften wird ebenfalls ein wichtiger Bestandteil im Entwicklungsprozess der „Leitlinie CMD“ sein.
In 2011 waren Sie zum Professor für manuelle Medizin (Chirotherapie / Osteopathie) an H:G Hochschule für Gesundheit & Sport, Technik & Kunst berufen worden. Was ist aus dieser Professur geworden?
Ich habe an der „Hochschule für Gesundheit und Sport“ (heute „Hochschule für Gesundheit und Sport, Technik und Kunst“) in der Entwicklung und Umsetzung des Studiengangs „Komplementärmedizin“ maßgeblich mitgewirkt. Diese Professur hatte ein hohes Lehrdeputat, die Hochschule funktioniert professionell. So werden z. B. ausschließlich Habilitierte oder Promovierte mit habilitationsäquivalenter Leistung ins Professorenteam berufen. Die Lehrbeauftragten sind mehrheitlich mindestens promoviert und in ihrem Unterrichtsfachgebiet herausragend etabliert. Meine Professur an der H:G Berlin war mit vielen Lehrverpflichtungen verbunden, in mir reifte jedoch zunehmend der Wunsch, die wissenschaftliche Anerkennung der Osteopathie und Manuellen Medizin weiter voran zu bringen. Die Möglichkeit hierzu bot sich mir durch die Berufung an die Steinbeis Hochschule Berlin. Da die Steinbeis Hochschule Berlin Promotionsrecht hat und wissenschaftliche Hochschule ist, ist sie Universität. Eine Universitätsprofessur in „Osteopathischer- und Manueller Medizin“ einzurichten, war der nächste logische Schritt im wissenschaftlichen Bemühen und für mich der richtige Weg. Meine Professur an der „Hochschule für Gesundheit und Sport“ in Berlin ist gemäß Berliner HSchG in eine unbefristete Titelführungsberechtigung übergegangen, ich bin dort sozusagen emeritiert. Die Durchführung wissenschaftlicher Kooperationen zwischen beiden Hochschulen ist aber ein wichtiges Ziel der nächsten drei Jahre.
Herr Professor Daichendt, vielen Dank für das Interview.